German Version:

Die Kamera bewegt sich in einer Spiralfahrt entlang der Decke, sie nimmt ihre Kreisform auf, indem sie die Fuge zwischen zwei Deckenelementen nachzeichnet;  rechteckige Lampen tauchen hintereinander auf wie die schematische Darstellung von Sonnenstrahlen oder die Speichen eines Rades; parallel dazu vermittelt der Sound ein atmosphärisches, hallendes „Tropfen“ – zumindest ist das eine von unendlich vielen möglichen Assoziationen.

Das Video Baumeister beschreibt das menschenleere Innere des ORF-Studios Dornbirn. Von Gustav Peichl 1969–1972 geplant und ausgeführt, ist seine formale Basis die Spirale – jene Figur, die sich aus einer von innen nach außen sich entfaltenden Linie ergibt, und die sich auch am menschlichen Körper wiederfindet: am Nabel oder im Ohr. Die Form der Spirale nimmt in Peichls Funkhäusern wohl auch symbolischen Bezug auf den Körper und seine Funktionen. Zwar oft als technoide Bauwerke bezeichnet, ja als „technische Geräte“, sind diese doch äußerst organische Strukturen, und zwar im eigentlich Wortsinn: Sie sind erweiterte und erweiterbare Körperorgane. Sprechen und Hören, Senden und Empfangen ist ihre Funktion. Die Spiralform in der Architektur der Rundfunkgebäude ist demnach nicht nur ein lange tradiertes Symbol (die Spirale symbolisierte in der Antike den „Nabel der Welt“), dessen sie sich bedient, sondern Voraussetzung für ihr Funktionieren – so wie die Form der Ohrmuschel die Funktion des Hörorgans gewährleistet.

In ähnlicher Weise, wie die Architektur die Funktion des Hörens übersetzt, nimmt Claudia Larchers Video Bezug auf das Sehen. Die Kamera ist das Auge, das die Struktur des Raumes zu erfassen versucht, indem sie/es seine Bewegungen nachzeichnet, wiederholt. Doch das Sehen (genauso wie das Hören oder Fühlen) ist kein objektivierender Akt. Es ist eng verknüpft mit den Erinnerungen dessen, der wahrnimmt. Insofern erzeugt es niemals einen kontinuierlichen Erfahrungsraum. Es produziert vielmehr aus Überlagerungen, Transformationen, Verdichtungen bestehende Bilder.

In einer früheren Arbeit Larchers, Empty Rooms, entfernt sich der Kamerablick langsam von der teilnahmslosen Wiedergabe eines Innenraums, der, wie auf den Fotos in Architekturmagazinen, von Menschen und Alltagsgegenständen „befreit“ ist, und mündet in einem kaleidoskopartigen Raumbild. Wird zu Beginn noch die poröse Struktur einer realen Wand in einer horizontalen Bewegung Millimeter für Millimeter abgetastet, löst sich die lineare Beziehung zwischen Kamera und Raum, die das Video am Beginn noch zu entwickeln scheint, nach und nach auf. Kamera und Gefilmtes durchdringen die aufgezeichnete Architektur und generieren eine eigene Realitätsebene: Kanten werden zu Linien, der Raum zu einem flackernden Bild. Hinzu kommt eine Klangspur, die diese Bilder mit Evokationen von (realen? erinnerten?) Ereignissen erfüllt; man glaubt etwa, das Quietschen eines Zugs zu vernehmen, oder man hört das Knistern von Neonröhren. Hörerlebnisse, die mehr mit der eigenen Erinnerung zu tun haben als mit dem, was der Soundtrack tatsächlich vorführt.

Auch im Video Baumeister beginnen an einer bestimmten Stelle wechselnde Raumverhältnisse sich ineinander zu verschieben. Den Übergang markiert eine kurze Sequenz, in der Betonbauteile und Metallrohre ein mobiles diagonales Muster bilden. Die Kamera gleitet anschließend in einer horizontalen Bewegung entlang der Wände. War bislang alles in neutralen bzw. Nicht-Farben (Grau, Weiß, Schwarz) gehalten, treten nun auch markante Farbelemente auf: ein sattes Orangerot bei Wandteilen oder Türzargen, ein kräftiges Gelb bei einem Stuhl usw. Der Einblick in einen Innenraum tut sich auf, sichtbar werden ein Aufnahmestudio mit einem blauen Drehsessel, ein oranges Mikrofon, ein heruntergelassenes gelbes Rollo. All das wirkt eher wie eine Szenografie als ein reales Interieur. Die Architektur wird zum (bewegten) Bild, sie wird gewissermaßen neu verfasst. Dies wird noch einmal wiederholt und bestätigt von der Tonspur Constantin Popps, die sich nun von scheinbar abstrakten, jedenfalls nicht mehr klar zuordenbaren Geräuschen verabschiedet hat und Architekturbeschreibungen wiedergibt. Diese sind von einer (nach und nach immer stärker verfremdeten) Frauenstimme gelesen und aus Radiosendungen über Architektur gesampelt, die im Funkhaus Dornbirn produziert worden waren. So greifen Ton und Bild wie Zahnräder ineinander – etwa auch in dem Moment, in dem der stark auf seine technische Funktion verweisende Raum (die Kamera zeigt wiederholt etwa nicht kaschierte Steckdosen oder die Warnung „Achtung Hochspannung!“) mit einem Sound konfrontiert wird, der an einen Düsenantrieb erinnert. 

Claudia Larchers Arbeit erzeugt ein Raum- und Zeitkontinuum, das in der Realität nicht existiert. Dies wird nicht sofort ersichtlich, sondern zeigt sich nur in kurzen Momenten, etwa wenn das Metallgeländer, dem die Kamera entlangläuft, plötzlich im Nichts endet. Das Video dokumentiert also die Architektur nicht im eigentlichen Sinn, sondern übersetzt sie in eine eigene Sprache, wobei es sich aber sehr genau an die Vorlage hält. Wesentlich ist dabei sein Zustandekommen: Larcher filmte nicht den Raum direkt ab, sondern Fotografien des Raums, die sie zuvor aufgenommen hatte. Der Kamerablick ist also nicht der einer bewegten Kamera, sondern eine Animation, in gewisser Hinsicht also ein „gefakter“, ein nachgebildeter Blick.

Diese Methode verweist auf einen wichtigen Topos der Postmoderne, nachdem die Unterscheidung von Original und Kopie, Vorbild und Abbild, Realität und Imagination unmöglich geworden sei. Der Theoretiker Craig Owens schrieb 1980 in seinem Text „Der allegorische Impuls: Zu einer Theorie des Postmodernismus“: „Allegorische Bilder sind appropriierte Bilder; der Allegoriker erfindet keine. Er macht seinen Anspruch auf das kulturell Signifikante geltend und tritt als dessen Interpret auf.“ (1) In der Arbeit Baumeister überlagert die filmische „Abbildung“ fotografische Bilder von Architektur. Und in jeder dieser Schichten ist das Motiv der Spirale von zentraler Bedeutung: Im Video wiederholt die Kamera die Spiralform der Architektur; die Architektur wiederum stellt sich in eine Art Genealogie der Spiralformen: Bruce Goffs Entwurf eines Schneckenhauses (1950), Marcel Duchamps Anémic-Cinéma (1926), den Diskos von Phaistos oder auch die Nautilusschnecke, Kunstwerk der Natur. (2)

Kleiner Exkurs: Wohl nicht ganz von ungefähr basiert das bekannteste Werk des amerikanischen Künstlers Robert Smithson, Spiral Jetty, auf ebendiesem Motiv. Entstanden ist es 1970, also in etwa zu der Zeit, als Gustav Peichl die Rundfunkländerstudios plante. Das berühmte Land-Art-Werk wurde in Form einer riesigen Spirale am Rande des Großen Salzsees in Utah aufgeschüttet und nimmt Bezug auf den lokalen Mythos eines Wasserstrudels. Ihre Ortsspezifität ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Arbeit. In dem gleichnamigen Film erzählt Smithson über die Entstehung des Werkes und seine Bedeutung; von einem Hubschrauber aus zeichnet die Filmkamera seine Spiralform nach. Ein Teil dieses Films wurde von Nancy Holt gedreht: Er zeigt Smithson, wie er auf einen Hügel klettert und mehrere Hände voll aus Büchern und Zeitschriften gerissenen Seiten vom Gipfel hinab wirft – Verweis auf einen Gedanken, der dem Künstler besonders wichtig erschien: „Die Geschichte der Erde ist wie eine Erzählung, die in einem Buch niedergeschrieben wurde, bei dem jede Seite in kleine Stücke gerissen worden ist. Viele Seiten und einige Teile von jeder Seite fehlen.“ (3)

Eine vollständige, lückenlose Erzählung ist längst infrage gestellt, die Arbeit mit Text- oder Bildfragmenten zwingend. Der (Foto-)Montage schreibt Benjamin im oben genannten Text ebenso ein allegorisches Moment zu, denn es sei der Allegorie eigen, „Bruchstücke ganz unausgesetzt zu häufen“. (4) Claudia Larchers Arbeit wäre demnach – implizit oder explizit – als Verweis auf das Verfahren der Allegorie zu verstehen. Deutlich wird das auch in einer Serie von Collagen, die – ganz ähnlich wie auch die Videos, wenn diese auch digital erzeugt werden – auf dem Montageprinzip beruhen. Kombiniert Larcher in ersteren Fotoausschnitte und animiert sie im Videoprogramm, sodass die Schichtungen nur an bestimmten Stellen als „perspektivische Verschiebung“ sichtbar werden, sind es in den analogen Collagen Schichtungen von Seitenfragmenten aus Architekturmagazinen. Verwendet werden historische oder aktuelle Architekturmagazine, etwa Baumeister oder architektur aktuell. Titel des Magazins und Erscheinungsdatum ergeben den Titel der jeweiligen Collagearbeit und sind damit klarer Hinweis auf das „Vorbild“. Jede einzelne Seite bildet eine eigene Collageschicht, wobei unterschiedlichste architektonische Versatzstücke zusammengesetzt werden: Innen- und Außenansichten, Details, Luftaufnahmen, Pläne genauso wie auch Inserate. Offensichtlich werden gleichermaßen Redundanz und Bruchstückhaftigkeit jeglicher Dokumentation, Schilderung von Wirklichkeit, die Larcher aber nicht im Zustand der Kritik belässt, sondern die sie selbst dokumentiert. 

(1) Zit. nach Charles Harrison und Paul Wood (Hgg.), Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Ostfildern-Ruit 2003, S. 1310.

(2) Diese Spiralen-Reihe findet sich in: Architektur & Technik. Die Bauten des Österreichischen Rundfunks 1970 – 1980. Zusammengestellt von Gustav Peichl, Wien 1979, S. 17.

(3)  Vgl. http://www.robertsmithson.com/films/txt/spiral.html.

(4)  Zit. nach Charles Harrison und Paul Wood, s. Anm. 2, S. 1311.

The Replicated Gaze
by Ines Gebetsroither, 2012

The camera moves in a spiral along the ceiling: it takes up its circular form by tracing out the seams between two elements of the ceiling; rectangular lamps emerge one after another like a schematic depiction of sunbeams or the spokes a wheel; parallel to this, the soundtrack evokes atmospheric, resonant “drops”— at least one of a countless number of associations. 

The video Baumeister looks at the deserted interior of ORF’s Studio Dornbirn. Planned and built by Gustav Peichl from 1969 to 1972, its formal basis is the spiral, the figure consisting of a line running from the inside out that can also be found on the human body, in the navel or our ears. The form of the spiral in Peichl’s radio buildings indeed takes on a symbolic reference to the body and its functions. While often referred to as “technoid” structures, indeed as “technological devices,” they are highly organic structures in a literal sense; they are expanded and expandable bodily organs. Their function is speaking and listening, transmitting and receiving. The spiral form of the radio building is not just a symbol with a long history (the spiral in antiquity symbolized the world’s navel), but a prerequisite for its functioning, just as the form of the ear insures the operation of our sense of hearing. 

Just as the architecture translates the function of listening, Claudia Larcher’s video makes a reference to vision. The camera is the eye that tries to capture the structure of space by tracing out its movements, repeating them. But seeing (just as listening or feeling) is not an objectivizing act. It is narrowly linked to the memories of the person perceiving. To this extent, it never generates a continuous space of experience. It rather produces images from superimpositions, transformations, and condensations. 

In one of Larcher’s earlier works, Empty Rooms, the gaze of the camera departs slowly departs from the unparticipating observation of an interior which, as in the photographs in architectural magazines, is “freed” of people and everyday objects and culminates in a kaleidoscopic spatial image. If at the beginning the porous structure of a real wall is scanned millimeter by millimeter in a horizontal movement, the linear relationship between the camera and the space that the video seems to develop at the start gradually dissolves. Camera and what is filmed penetrate the recorded architecture and generate a layer of reality all its own. Edges become lines, the space becomes an image. In addition, there is a sound track that fills these images with evocations of (real? remembered?) events; we think we hear the screeching of a train or the crackling sound of fluorescent lights. Sonic experiences that have more to do with our own memory than with what the soundtrack actually contains. 

In the video Baumeister, changing spatial relations also begin to shift at a certain point. The transition is marked by a brief sequence in which the concrete elements and metal pipes form a mobile diagonal pattern. The camera glides in a horizontal movement along the walls. If until now everything was kept in neutral tones or non-colors (gray, white, or black), now striking elements of color appear: deep-orange red wall elements or door sashes, a powerful yellow for a chair, etc. A view of an interior space opens, showing a recording studio with a blue swivel chair, an orange microphone, yellow blinds that have been pulled down. This all seems more like a stage set than a real interior. The architecture becomes a (moving) image, in a certain sense it is recast. This is once again repeated and confirmed by the sound track of Constantin Popps, which has departed from apparently abstract, at any event no longer clearly classifiable sounds and now consists of architectural descriptions. These are read by a woman’s voice (increasingly distorted) sampled from radio shows on architecture that had been produced at Funkhaus Dornbirn. So sound and image articulate with one another like gears, for example in the moment in which the space, which relies strongly on its technological functions (the camera repeatedly shows uncovered sockets or the warning “Caution, High Voltage!”) with a sound that recalls a jet engine.

Claudia Larcher’s work generates a continuum of space and time that does not actually exist in reality. This is not immediately visible, but is only revealed in moments when for example the metal track that the camera runs along suddenly ends in a void. The video thus documents the architecture not in the actual sense, but translates it into a language of its own, whereby it is very committed to the model. Essential here is the process of emergence: Larcher did not directly film the space itself, but photographs of the space taken beforehand. The gaze of the camera is not that of a moving camera, but an animation, in a certain sense a fake, replicated  gaze. 

This method refers to an important theme in postmodernism, where it becomes impossible to distinguish between original and copy, model and replica, reality and imagination. As the theorist Craig Owens wrote in his 1980 essay “The Allegorical Impulse: On a Theory of Postmodernism,” “Allegorical imagery is appropriated imagery; the allegorist does not invent images but confiscates them.” (1) In the work Baumeister, the filmic “replicas” superimpose figures of architecture. In each of these layers, the motif of the spiral is of central importance. In the video, the camera repeats the spiral form of the architecture: the architecture in turn enters into a genealogy of spiral forms. Bruce Goff’s design of a snail house (1950), Marcel Duchamp’s Anémic-Cinéma (1926), the Phaistos Disk, or the shell of the nautilus, an artwork of nature. (2)

A brief digression: it is certainly no accident that Spiral Jetty, the most well known work of the American artist Robert Smithson, is also based on this motif. It was created in 1970, around the time that Gustav Peichl was planning his radio studios. The famous work of land art was poured in a huge spiral on the edges of the Great Salk Lake in Utah and refers to the local myth of a watery vortex in the lake. Its site specificity is a key component of the work. In the film of the same name, Smithson tells of the emergence of the work and its meaning, from a helicopter tracing out the spiral form with a film camera. Part of the film was shot by Nancy Holt. It shows Smithson climbing up a hill and throwing several hands full of books and magazines from the top: this is a reference to a thought that seemed important to the artist. “The earth's history seems at times like a story recorded in a book each page of which is torn into small pieces. Many of the pages and some of the pieces of each page are missing.” (3)

A comprehensive, complete narrative has long been questioned, working with fragments of texts or images is imperative. In the aforementioned essay, Benjamin attributes an allegorical moment to photographic montage, for it is typical of allegory to “pile up fragments ceaselessly.” (4) Accordingly, Claudia Larcher’s work can implicitly or explicitly to be understood as an indication of the technique of allegory. This becomes clear in a series of collages that, just like the videos, when they are digitally generated, are also based on the principle of montage. If in the former Larcher combines pieces of photographs and animates them in the video program so that the layerings are only visible as shifts in perspective in certain spots, in the analog collages layerings of page fragments from architecture magazines are legible. What are used are historical or current architectural magazines, for example Baumeister, or Architektur Aktuell. The title of the magazine and the date of the issue provide the title of the collage work in question and are thus a clear indication of the “original.” Each individual page forms a collage layer of its own, whereby the most various architectural components are assembled together: interior and exterior views, details, aerial shots, plans as well as inserts. The redundancy and yet fragmentary nature of all documentation and depictions of reality is revealed: but Larcher does not stop at critique, but documents this herself. 

(1) Craig Owens, “The Allegorical Impulse: Toward a Theory of Postmodernism,” October 12 (Spring, 1980), 69.

(2) This spiral series can be found in: Architektur & Technik: Die Bauten des Österreichischen Rundfunks 1970 – 1980 (Vienna, 1979), 17.

(3)  See http://www.robertsmithson.com/films/txt/spiral.html.

(4)  Quoted in Owens, “The Allegorical Impulse,” 72.